Stellen Sie sich vor, Deutschlands Bahntrassen werden nicht nur für Züge genutzt, sondern gleichzeitig zu langen, schmalen Solarkraftwerken. Genau dieses Ziel verfolgt das Forschungsprojekt PV4Rail unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). Es untersucht, wie sich Photovoltaik entlang der Schienen sinnvoll integrieren lässt, um den Bahnstrom künftig direkt mit Solarenergie zu versorgen. Die Ergebnisse zeigen: Das Potenzial ist enorm – technisch machbar, wirtschaftlich interessant und ökologisch richtungsweisend. Dieses Projekt ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie Technologie, Forschung und Nachhaltigkeit ineinandergreifen können. Es erzählt eine Geschichte von Ideen, Pioniergeist und dem Willen, etwas zu verändern. Und es beweist: Die Sonne kann nicht nur Dächer, sondern auch Schienen mit Energie versorgen.
Das Wichtigste in Kürze
- Projektlaufzeit: Dezember 2022 bis Februar 2025
- Träger: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE
- Ziel: Direkte Einspeisung von Solarstrom ins Bahnstromnetz
- Ergebnis: Solarenergie entlang von Bahntrassen könnte mehr Strom liefern, als die Bahn heute verbraucht
- Potenzial: 37,6 GW installierbare Leistung, rund 32.900 GWh Solarstrom pro Jahr
Sonnenenergie auf der Schiene – eine Idee mit Zugkraft
Das Projekt PV4Rail klingt fast poetisch: Photovoltaik für die Schiene. Doch dahinter steckt hochpräzise Ingenieurskunst. Denn das Bahnstromnetz ist ein technischer Sonderfall. Es arbeitet nicht mit der üblichen Netzfrequenz von 50 Hertz, sondern mit 16,7 Hertz – einem Relikt aus alten Zeiten, das heute eine enorme Herausforderung für moderne Energietechnik darstellt. Das Fraunhofer ISE nahm sich dieser Aufgabe an. Ziel war es, eine Lösung zu entwickeln, die Solarstrom direkt ins Bahnstromnetz einspeisen kann – also ohne Umweg über das öffentliche Netz. Das klingt simpel, ist aber technisch anspruchsvoll. Denn die Spannung schwankt, das Netz ist einphasig, und jeder Fehler könnte den Bahnbetrieb stören. Trotz dieser Hürden gelang dem Forschungsteam etwas Außergewöhnliches: Sie entwickelten einen neuartigen Wechselrichter, der genau diese Anforderungen erfüllt. Im Labor erreichte er einen Wirkungsgrad von 96,6 Prozent – ein Wert, der selbst erfahrene Fachleute beeindruckte.
Zielsetzung
Das Forschungsprojekt PV4Rail des Fraunhofer‑Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) untersuchte, wie sich Photovoltaikanlagen entlang deutscher Bahntrassen so integrieren lassen, dass sie Solarstrom direkt in das Bahnstromnetz einspeisen können. Dabei stand im Mittelpunkt, das große, bisher ungenutzte Flächenpotenzial der Bahn für erneuerbare Energie nutzbar zu machen – ohne den Bahnbetrieb zu stören.
Das Projekt verfolgte somit zwei zentrale Ziele: einerseits die technische Machbarkeit einer Einspeisung von Solarstrom in das spezielle Bahnstromnetz mit 16,7 Hertz, andererseits die Bewertung des wirtschaftlichen und ökologischen Potenzials solcher Anlagen im gesamten Bundesgebiet.
Warum Solarstrom für die Bahn so viel Sinn ergibt
Wer die Bahn kennt, weiß: Ihre Trassen durchziehen das Land wie ein Adernetz. Unzählige Hektar Fläche entlang dieser Linien liegen brach, werden nur als Sicherheitsstreifen oder für Technik genutzt. Genau hier setzt PV4Rail an. In einer detaillierten Potenzialanalyse berechnete das Fraunhofer-Team, dass allein innerhalb eines Umkreises von zwei Kilometern um Bahnstrom-Unterwerke eine installierbare Leistung von 37,6 Gigawattpeak möglich wäre. Das entspricht etwa 32.900 Gigawattstunden Solarstrom pro Jahr – also mehr, als die gesamte Deutsche Bahn derzeit verbraucht. Diese Zahlen sind nicht nur beeindruckend, sie sind ein Weckruf. Denn sie zeigen: Die Energie, die wir brauchen, liegt oft direkt vor uns – nur nutzen wir sie noch nicht.
Die Technik hinter dem Sonnenzug
Hinter dem romantischen Bild der „Sonnenzüge“ steckt harte Technologie. Das Herzstück des Projekts ist der eigens entwickelte Bahnstrom-Wechselrichter. Er wandelt den Gleichstrom der Solaranlagen in Wechselstrom mit 16,7 Hertz um – genau so, wie es das Bahnstromnetz benötigt. Diese Frequenz ist ein Überbleibsel aus der Frühzeit der Elektrifizierung, als die Bahn eigene Netze aufbaute, um sich unabhängig vom öffentlichen Stromnetz zu machen. Heute macht sie genau das Gegenteil notwendig: spezielle Technik, um erneuerbare Energie einspeisen zu können. Das Team von PV4Rail entwickelte dafür ein 1-Megavoltampere-System, das die technische Machbarkeit bewies. Der Prototyp wurde erfolgreich im Labor getestet – stabil, effizient und kompatibel mit den besonderen Netzbedingungen der Bahn.
Was bedeutet Photovoltaik entlang der Bahntrassen wirklich?
Wenn von Photovoltaikanlagen entlang der Bahntrassen die Rede ist, geht es nicht darum, Solarmodule direkt auf die Gleise zu legen. Der Bahnbetrieb würde das niemals zulassen – zu gefährlich, zu instabil, zu wartungsintensiv. Stattdessen nutzt das Projekt PV4Rail jene Flächen, die ohnehin vorhanden, aber bislang kaum beachtet sind: Böschungen, Randstreifen, Lärmschutzwände oder Dachflächen von Unterwerken. Dort entsteht ein neues Bild von Infrastruktur – die Bahn als Energieerzeuger.
Diese Idee ist so einfach wie wirkungsvoll. Während die Züge fahren, erzeugen entlang der Strecke installierte Solarmodule still und zuverlässig Strom. Kein zusätzlicher Flächenverbrauch, keine Konkurrenz zu Landwirtschaft oder Naturschutzgebieten – nur eine kluge Doppelnutzung vorhandener Bahnareale. Besonders interessant sind dabei die Bereiche rund um die Bahnstrom‑Unterwerke, denn hier kann der Solarstrom direkt eingespeist werden. Das spart lange Leitungswege und macht das System besonders effizient.
So entsteht ein Netz aus dezentralen Mini‑Kraftwerken, die den Zugverkehr buchstäblich mit der Kraft der Sonne versorgen könnten.
Standorttypen und empfohlene Nutzung laut PV4Rail
| Standorttyp | Beschreibung | Geeignete Nutzung laut PV4Rail |
|---|---|---|
| Böschungen und Randstreifen | Flächen neben den Gleisen, meist ungenutzt oder begrünt. | Sehr gut geeignet für bodennahe oder geneigte PV‑Module. |
| Lärmschutzwände | Häufig entlang der Bahnstrecken vorhanden, oft südorientiert. | Ideal für senkrechte oder bifaziale Module mit hoher Lichtausbeute. |
| Dächer von Unterwerken und Betriebsgebäuden | Bestehende Bahngebäude mit stabilen Dachflächen. | Perfekt für klassische Dachanlagen. |
| Flächen in Unterwerksnähe | Areale im Umkreis von bis zu 2 km um Bahnstrom‑Unterwerke. | Besonders geeignet für direkteinspeisenden Solarstrom. |
| Überdachungen oder Tragsysteme | Zukunftsoption über Abstellgleisen oder Wartungsbereichen. | Theoretisch machbar, derzeit in Prüfung. |
Chancen entlang der Gleise
Schauen Sie einmal aus dem Zugfenster. Links und rechts der Strecke sehen Sie Böschungen, Schallschutzwände, Überführungen. All diese Flächen könnten künftig Solarenergie liefern. In Österreich und der Schweiz gibt es bereits erste Anlagen, die Bahnstrom direkt aus Photovoltaik beziehen. Deutschland zieht mit PV4Rail nach – wenn auch bisher noch auf Forschungsebene. Die Idee: Solarstrom entlang der Trassen erzeugen, vor Ort in das Bahnstromnetz einspeisen und so Energieverluste vermeiden. Das wäre nicht nur klimafreundlich, sondern auch wirtschaftlich klug. Die Bahn könnte so unabhängiger von schwankenden Strompreisen werden und gleichzeitig ihren CO₂-Fußabdruck massiv senken.
Zentrale Ergebnisse
| Thema | Ergebnis |
|---|---|
| Technisches Konzept | Entwicklung eines speziell angepassten Wechselrichters, der Solarstrom mit 16,7 Hz direkt einspeisen kann. |
| Laborergebnis | Prototyp eines Wechselrichters mit einem gemessenen Wirkungsgrad von 96,6 %. |
| Flächenpotenzial | 37,6 GWp installierbare Leistung auf Flächen im Umkreis von 2 km um Bahnstromunterwerke. |
| Erzeugbares Energievolumen | Rund 32.900 GWh Solarstrom jährlich – mehr als der derzeitige Bahnstrombedarf von ca. 7.500 GWh. |
| Klimawirkung | Deutliche Reduktion der CO₂‑Emissionen im Bahnstromsektor möglich. |
| Herausforderungen | Regulatorische Hürden, komplexe Netzanschlussregeln und wirtschaftliche Rahmenbedingungen erschweren die praktische Umsetzung. |
Zwischen Fortschritt und Bürokratie
So groß die Chancen sind, so hartnäckig sind die Hürden. Noch bremsen rechtliche Vorgaben, technische Normen und Anschlussregeln die Umsetzung. Auch die Finanzierung solcher Systeme ist komplex, da das Bahnstromnetz in Deutschland nur teilweise öffentlich zugänglich ist. PV4Rail hat diese Probleme klar benannt – und zugleich gezeigt, dass sie lösbar sind. Das Fraunhofer ISE empfiehlt in seinen Ergebnissen, eine Folgephase mit Pilotanlagen zu starten. Dort könnten die entwickelten Wechselrichter erstmals unter realen Bedingungen arbeiten. Es wäre der logische nächste Schritt: Forschung wird Praxis, Theorie wird Bewegung. Und vielleicht fahren dann bald die ersten Züge mit Strom, der direkt aus der Sonne kommt – und zwar nicht über Umwege, sondern unmittelbar entlang der Strecke.
Ein Blick in die Zukunft: Energie auf Rollen
Stellen Sie sich ein Deutschland vor, in dem jede Bahnlinie zum Solarkraftwerk wird. In dem Lärmschutzwände Sonnenstrom produzieren, Unterwerke eigene Module tragen und die Energieversorgung der Züge nicht mehr von fossilen Quellen abhängt. Das ist kein ferner Traum. Die Technologie liegt bereit, die Studien belegen das Potenzial, und die Sonne scheint kostenlos. Es braucht jetzt den Mut, diese Vision umzusetzen. Wenn die Bahn – eines der größten Verkehrssysteme Europas – beginnt, sich selbst mit Solarstrom zu versorgen, wird sie nicht nur grüner, sondern auch unabhängiger. Das wäre nicht weniger als ein Symbol für die Energiewende auf Schienen.
Kleine Übersicht: Was PV4Rail gezeigt hat
| Bereich | Erkenntnis |
|---|---|
| Technik | Direkteinspeisung von Solarstrom ins Bahnstromnetz ist technisch machbar. |
| Energiepotenzial | 37,6 GWp installierbar, über 32.000 GWh jährliche Produktion möglich. |
| Prototyp | Neuer Wechselrichter erreicht 96,6 % Wirkungsgrad. |
| Nutzen | Reduziert CO₂, spart Netzverluste, stärkt Eigenversorgung der Bahn. |
| Herausforderung | Regulatorische Anpassungen und Finanzierungskonzepte notwendig. |
Fazit – Die Sonne fährt mit
Das Projekt PV4Rail ist ein leuchtendes Beispiel für die Verbindung von Forschung, Praxis und Vision. Es hat gezeigt, dass Solarenergie längst nicht mehr nur auf Dächern oder Feldern entsteht. Sie kann auch dort entstehen, wo täglich Millionen Menschen unterwegs sind – entlang der Schienen, auf Dächern von Bahnhöfen, an Lärmschutzwänden.
Wenn die Bahn künftig Strom aus der Sonne bezieht, fährt sie nicht nur klimaneutraler, sondern sendet ein starkes Signal: Fortschritt ist möglich, wenn man mutig genug ist, neue Wege zu gehen.
Vielleicht werden wir in ein paar Jahren in einen Zug steigen und wissen – dieser Zug fährt nicht nur elektrisch, er fährt mit Lichtkraft.
Und dann, ganz leise, während die Landschaft vorbeizieht, könnte man denken: So fühlt sich Zukunft an.
Wenn Sie im Bereich Solarenergie arbeiten, denken Sie über Kooperationen mit Verkehrsbetrieben, Gemeinden oder Bahnunternehmen nach. Die Schiene ist nicht nur ein Transportweg – sie ist eine ungenutzte Energiequelle. Die Zukunft fährt – mit Sonne.































